Persönlichkeit im Coaching besser verstehen
In diesem Beitrag geht es um Persönlichkeit und den Ansatz, den die PSI-Theorie zur Verfügung stellt, um Persönlichkeitsfacetten von Klient:innen im ersten Schritt zunächst einmal besser verstehen zu können und diese dann – in einem zweiten Schritt – in eine Richtung zu entwickeln, die ein mit dem Selbst kongruenteres Leben ermöglichen.
Der Begriff der Persönlichkeit – vielschichtig, aber hilfreich
Aus meiner Sicht lässt sich die Bedeutung von „Persönlichkeit“ für den Coachingprozess nicht überschätzen. Gemessen an seiner Bedeutung finde ich den Begriff der Persönlichkeit allerdings schon fast schillernd. Gehören Alltagsbegriffe wie Charakter, Identität, Intelligenz, Talent, etc. zur Persönlichkeit dazu? Oder sind es getrennte, vielleicht auch überlappende Konstrukte?
Allerdings möchte ich in diesem Beitrag auf die wissenschaftlichen Grundlagen und konzeptionellen Feinheiten des Begriffs der Persönlichkeit gar nicht mehr eingehen als nötig, um die PSI-Theorie grob überblicken zu können. Mir geht es vielmehr um den konkreten Nutzen des Begriffs für den Coachingprozess, also um die möglichen Erkenntnisse, die Klient:innen erlangen können, wenn der Coachingprozess durch diese „Brille“ betrachtet wird.
Warum die PSI-Theorie von Julius Kuhl so wertvoll ist
Ich halte die Persönlichkeitstheorie von Julius Kuhl für einen besonders wirksamen Ansatz. Das liegt einerseits daran, dass Kuhl den erfolgreichen Versuch unternommen hat, eine Metatheorie der Persönlichkeit zu entwickeln, die verschiedene persönlichkeitstheoretische und neurowissenschaftliche Ansätze vereint und ordnet und damit ein hohes Maß an Komplexität und Vielseitigkeit erreicht.
Noch wichtiger ist jedoch, dass die PSI-Theorie nicht nur klassifiziert, sondern Entwicklung ermöglicht: Sie weist auf die Potenziale hin, die jeder Mensch in sich trägt, um sein Leben stimmiger zu gestalten – anstatt Menschen durch Typologien festzulegen, wie es z. B. DISG oder die BIG Five tun.
Drei zentrale Element der PSI-Diagnostik
1. Erstreaktionen – automatische Persönlichkeitsstile
Die PSI-Theorie beschreibt sogenannte Erstreaktionen – also reflexhafte Muster im Umgang mit der Umwelt. Dabei kann es z. B. um Themen wie Selbstkritik oder besondere Sorgfalt gehen. Diese Muster lassen sich anhand von Referenzwerten (Alter, Geschlecht) einordnen und können wertvolle Einstiege ins Coaching liefern.
PSI testet außerdem Erstreaktionen unter Stress: Wenn z. B. jemand unter Stress nachlässiger und gleichzeitig selbstkritischer wird, kann sich das Problem potenzieren – ein typischer Coachingansatzpunkt.
Im Übrigen kann die Analyse der Persönlichkeitsstile spielend in eine Betrachtung aus der Perspektive von Anteilemodellen überführt werden.
2. Motive – bewusste und unbewusste Antreiber
Ein zentrales Element der PSI-Diagnostik sind die Motive, die Julius Kuhl als intelligente Bedürfnisse bezeichnet. Psychologisch betrachtet handelt es sich bei Motiven um sogenannte Dispositionen – also mehr oder weniger dauerhafte, individuelle Anlagen – durch bestimmte Handlungen und in bestimmten Kontexten Befriedigung zu erfahren (siehe auch Motive im Mannschaftssport).
Zu den getesteten Motiven gehören:
- Anschlussmotiv (Nähe, Sicherheit, Geborgenheit)
- Leistungsmotiv (Wettbewerb, Herausforderung, Erfolg)
- Machtmotiv (Einfluss, Führung, Beratung)
- Freiheitsmotiv (Selbstverwirklichung, Abgrenzung, Status)
Motive bestimmen, wie wir Kontexte deuten, da Kontexte immer eine Gelegenheit darstellen können, unsere Motive zu befriedigen. Kommt also eine anschlussmotivierte Person in eine Gruppe, dann sieht sie darin tendenziell die Gelegenheit, Nähe und Geborgenheit oder auch gemeinsamen Spaß zu erleben. Kommt stattdessen eine leistungsmotivierte Person in diese Gruppe, sieht sie möglicherweise primär die Gelegenheit, in den Wettbewerb zu treten. Machtmotivierte Personen neigen hingegen dazu, in dieser Konstellation die Möglichkeit zu erkennen, Einfluss auszuüben, zu beeindrucken oder zu unterstützen und zu beraten.
Neben den bewussten Motiven – also denjenigen, die wir benennen können und die wir in unserer Entwicklung gelernt haben, wertzuschätzen und zu verfolgen, misst PSI auch die unbewussten Motive, also die unbewusst-verborgenen Antreiber unseres Handelns, z. B. mithilfe projektiver Verfahren (ähnlich dem klassischen Apperzeptionstests). Wenn sich bewusste und unbewusste Motive widersprechen, spricht man von Motivdiskrepanzen, deren Aufrechterhaltung viel Energie kostet und die daher Coaching-relevant sein können.
3. Zweitreaktionen – Schlüssel zur Selbststeuerung
Das Herzstück der PSI-Theorie sind die sogenannten Zweitreaktionen. Sie beschreiben unsere Fähigkeit, automatischen Impulsen bewusst etwas entgegenzusetzen. Tendiert also z.B. eine Person in der Erstreaktion dazu, auf den Anspruch, eine öffentliche Rede zu halten, selbstunsicher und ängstlich zu reagieren, kann sie dem durch eine geübte Zweireaktion begegnen.
Zu den Zweitreaktionen zählen insbesondere:
- Selbstzugang
- Selbstbestimmung
- Selbstberuhigung
- Selbstmotivierung
Diese Fähigkeit zur Selbststeuerung ist zentral für nachhaltige Veränderung. Im Coaching hilft die Diagnostik dabei, gezielt an diesen Fähigkeiten zu arbeiten.
Anwendung in Coaching, Unternehmen und im Leistungssport
Praxisnutzen in Coaching, Assessment & Teamarbeit
Die PSI-Theorie eignet sich hervorragend für alle, die ein fundiertes Verständnis von Persönlichkeit und Entwicklung jenseits von kurzsichtiger Typisierung suchen – nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch im Unternehmens- und Sportkontext:
- im 1:1-Coaching, um hinderliche Muster zu erkennen und zu verändern
- im Teamcoaching, um Motive & Kommunikationsstile und Konfliktursachen zu verstehen
- in Leistungssport-Teams, um die maximal mögliche Teamleistung zu erreichen
- im Assessment, z. B. bei Bewerbungsverfahren oder Teamzusammenstellungen
Die Einsatzmöglichkeiten der PSI-Theorie sind also offensichtlich vielfältig.
Wissenschaftlich fundiert statt populärtypologisch
Die PSI-Theorie wurde über Jahrzehnte von Julius Kuhl an der Universität Osnabrück entwickelt und ist wissenschaftlich validiert! Das unterscheidet sie klar von Tests wie DISG oder z.B. den sogenannten Myers-Briggs-Typenindikator, die vor allem durch gute Vermarktung bekannt geworden sind.
Fazit: Tiefgreifende Persönlichkeitsarbeit mit Perspektive
Die PSI-Theorie bietet eine komplexe, aber praktisch nutzbare Sichtweise auf Persönlichkeit. Sie hilft, Menschen in ihrer Tiefe zu verstehen – nicht um sie zu kategorisieren, sondern um Entwicklung zu ermöglichen.
Gerne beantworte ich alle Fragen dazu – ob für Einzelpersonen oder Unternehmen.
Melden Sie sich gerne bei mir!