Friedemann Schulz von Thun ist einer der bekanntesten und populärsten zeitgenössischen Kommunikationspsychologen. Insbesondere ist es ihm anzurechnen, die Mechanismen zwischenmenschlicher Kommunikation mit leicht verständlichen und nachvollziehbaren Modellen zu beschreiben und somit besser zugänglich zu machen. In diesem Beitrag geht es um einige Grundzüge dieser Modelle und meine Hoffnung ist, dass ein besseres Verständnis von Kommunikation schlussendlich zu einer besseren Kommunikationsfähigkeit führt. Bei allem was ich hier erläutere beziehe ich mich im Wesentlichen auf das Buch „Miteinander reden“ von Friedemann Schulz von Thun.
Fangen wir mit Erich an. Wenn Erich zu Erna sagt „Erna, das Bier ist alle!“, dann wissen wir was das heißt. Nämlich, dass das Bier alle ist. Wir ahnen aber auch, dass mehr in dieser Nachricht steckt als das, was Schulz von Thun als Sachinhalt einer Nachricht beschreibt. Insgesamt sieht Schulz von Thun neben diesem Sachinhalt tatsächlich weitere drei Arten von Botschaften, die in einer Nachricht enthalten sein können. Dazu zählen die Selbstoffenbarung, der Appell und die Beziehungsaussage. Und weil es damit insgesamt vier Seiten einer Nachricht gibt, lässt sich das Ganze als Kommunikationsquadrat darstellen.
Was könnte Erich also noch meinen? Das kann uns nur Erich sagen, aber wir können spekulieren. Vermutlich hat er Lust auf Bier und er ist verstimmt, dass kein Bier da ist. Das wäre die Selbstoffenbarung. Wir können auch noch einen Appell an Erna heraushören, und zwar, dass sie welches holen möge und vielleicht sogar, dass sie zukünftig dafür sorgen möge, dass es nicht ausgeht. Setzt man diese Lesart fort, dann geht Erich wohl davon aus, dass es Ernas Job ist, für sein Bier zu sorgen, er sich also in Bezug auf Erna in der Beziehungsposition wähnt, aus der heraus eine solche Forderung legitim ist. Die Beziehungsseite einer Nachricht sagt also etwas darüber aus, wie der Sender auf die Beziehung zum Empfänger blickt.
An diesem Beispiel wird klar, dass Nachrichten mehrdeutig sein können. Denn vom Sachinhalt abgesehen, könnte es so oder eben auch so gemeint sein. Die übrigen Botschaften schwingen eher mit, als dass sie klar und eindeutig vernehmbar sind. Die Entschlüsselung der Nachricht bedarf also der Interpretation durch den Empfänger (wie überhaupt unsere Wahrnehmung ja niemals ein objektives Abbild der Realität darstellt, sondern ein subjektives Mischprodukt aus Kontext und Interpretation ist). D.h., auch der Empfänger kann eine empfangene Nachricht auf vier Ebenen „hören“: Sachinhalt, Appell, Beziehung und Selbstoffenbarung. Selbst wenn Erich also tatsächlich einfach nur erstaunt feststellt, dass das Bier schon wieder alle ist und dabei vielleicht bestenfalls den Appell an Erna richtet, ihn doch bitte über diesen Schicksalsschlag hinwegzutrösten (schließlich fängt die Fußballübertragung gleich an), könnte Ernas Appellohr möglicherweise die Aufforderung „hören“, bitte mal zeitnah Bier zu besorgen. Und darauf durchaus verstimmt reagieren.
Kommunikation ist also niemals das Produkt einer Person, sondern immer dasjenige von mehreren Personen (oder: „psychologischen Systemen“). Man kann sagen, es ist ein genuin soziales Produkt, anfällig für wechselseitige Missinterpretationen und daher häufig Anlass für Konflikte. Es wäre jetzt also interessant, sich anzuschauen, was bei Kommunikation alles schief gehen kann und wie das mit den verschiedenen Botschaften zusammenhängt. Dass so einiges schiefgehen kann, weiß jeder aus eigener Erfahrung. Schulz von Thun gibt einige Beispiele, die ich hier sehr kurz und übersichtlich zusammenfasse.
Missverständnisse können beispielsweise entstehen, wenn Nachrichten inkongruent sind. Damit ist gemeint, dass die verschiedenen Botschaften einer Nachricht wechselseitig widersprüchlich sind. Dabei spielen insbesondere nonverbale Nachrichtenanteile, wie z.B. Mimik, Gestik, Stimme und Betonung eine wichtige Rolle. Sagt man „Ich liebe dich!“, dann empfindet der Empfänger diese Nachricht nur dann als kongruent, wenn er oder sie eine liebevolle Stimme und Betonung dabei hört. Hört er dabei stattdessen einen genervten Unterton, oder nimmt er einen abwesend-desinteressierten Gestus wahr, dann sind möglicherweise Zweifel an der Sachbotschaft angemessen. Das gleiche funktioniert auch mit „Es ist alles in Ordnung, Schatz!“. Leitet sie dabei aus der Wahrnehmung von Stimmlage und Mimik ab, dass er unter irgendwas leidet, kommt sie in die Zwickmühle. Welche Botschaft ist nun die „richtige“?
Inkongruente Nachrichten können aus unterschiedlichen Haltungen heraus gesendet werden. Sie können z.B. Ausdruck von innerer Widersprüchlichkeit beim Sender sein („Es ist nicht alles in Ordnung… aber ich will eigentlich keine Hilfe, kein Mitleid, …“). Sie können Machtmittel sein und dazu dienen, echter Klärung von Problemen aus dem Weg zu gehen („Nein, ich empfinde gerade keine Liebe und während dir das durchaus klar sein darf, habe ich gleichzeitig keine Lust, darüber zu diskutieren.“). Manchmal kann man mit inkongruenten Nachrichten auch die geforderte Form wahren und dennoch mitteilen, was man gerne mitteilen möchte („Das war ein wirklich sehr interessanter Vortrag von Ihnen.“ – mit entsprechend neutraler, vielleicht sogar sarkastischer Stimmlage). Es gibt also zahlreiche Varianten, bei denen inkongruente Nachrichten absichtlich oder unabsichtlich gesendet werden.
Die Liste potenzieller Probleme lässt sich fortsetzen. Wenn z.B. eine Auseinandersetzung, die ihrem Kern nach auf einem Beziehungskonflikt basiert, auf der Sachebene ausgetragen wird. Dann streitet man sich mit überraschender Inbrunst um nebensächliche Sachthemen und umschifft damit das eigentliche (Beziehungs-)Thema. Oder wenn Selbstoffenbarungen („Ich bin müde, ich brauche meine Ruhe.“) auf der Beziehungsebene („Sie ist sauer auf mich!“) interpretiert werden. Jeder kann ja mal über seine und ihre alltägliche Kommunikation reflektieren und dabei versuchen, weitere Beispiele aufzufinden.
Was tun? Es gibt verschiedene Wege, Kommunikation konfliktfreier zu gestalten. Zum einen neigen Menschen häufig dazu, auf einem Ohr „besser zu hören“, als auf den anderen drei Ohren. Dann wird jede Nachricht daraufhin abgeklopft, ob sie beispielsweise einen Appell enthält oder eine Beziehungsaussage – auch wenn das vom Sender gar nicht so gemeint ist. Selbstreflexion – auch mit Hilfe eines Coaches im Rahmen einer Persönlichkeitsentwicklung – kann dabei helfen, solche Muster zu entdecken und eine gesündere Kommunikation zu lernen. Alternativ kann ein Muster beim Empfänger auch darin bestehen, vermeintlich ohnehin zu wissen, wie der andere tickt und jede Nachricht durch die Brille dieses vermeintlichen Wissens zu hören und zu interpretieren („Ist ja klar, dass sie das so meint!“). Auch hier hilft Selbstreflexion – denn am Ende hat jeder Empfänger die freie Wahl, auf welche Seite der Nachricht er oder sie reagieren will. Und wenn man sicher sein möchte, welche Botschaft denn da gerade gesendet werden soll, dann hilft Nachfragen. Das kann in Form der Technik des aktiven Zuhörens geschehen, bei der man die empfangenen Botschaften paraphrasiert zurücksendet, um damit zu signalisieren, was bei einem angekommen ist – so dass der Sender die Möglichkeit hat, Missverständnisse aufzuklären. Alternativ spricht man gemeinsam über die Kommunikation – man betreibt also Metakommunikation. Voraussetzung für eine gelingende Metakommunikation ist allerdings, dass man es tatsächlich schafft, sich auf eine Metaebene zu begeben, also die Position als betroffener Konfliktteilnehmer wenigstens zweitweise verlässt. Das ist nicht ganz einfach, gerade wenn man emotional involviert ist. Häufig kann auch dabei ein Coach wichtige Hilfe leisten.
Probiert es aus, seid achtsam im Alltag und reflektiert über euch selbst – dann funktioniert Kommunikation besser und die ein oder andere Eskalation lässt sich vermeiden!
Gerne helfe ich Teams im Rahmen eines Teambuilding-Workshops, die interne Kommunikation zu verbessern! Ihr habt Fragen dazu? Meldet euch gerne bei mir!